Es war einmal
ein Mädchen namens Sophia, das durchbrach langsam die Hülle seiner eigenen
Welt, um einen Blick in die Wirklichkeit zu wagen. Sophia war gerade so alt,
dass die Schwelle des Erwachsenwerdens schon fast in Sicht war. Viele ihrer
Freunde wirkten schon sehr erwachsen, doch sie hatte das noch nie zu hören bekommen.
Eines Tages war die Woche ihrer Konfirmation gekommen. Für Samstag luden ihre
Eltern alle Gäste zu sich zu Kaffee und Kuchen nach Hause. Aber ihre Eltern
hatten ihr Geschenk noch nicht fertig und die Vorbereitungen für den morgigen
Tag waren auch noch am Laufen. Also sagte der Vater zu seiner Tochter: „Sophia,
würdest du für die Gäste alles vorbereiten? Wir dachten, du würdest dich
freuen, ein wenig Verantwortung zu übernehmen.“ Und tatsächlich tat sie das. Das
war ihre Chance, ihr Können zu beweisen. Freitags nach der Schule ging sie
einkaufen, um das Nötigste zu besorgen. Voller Vorfreude beeilte sie sich, den
Heimweg anzutreten, sofern das mit vollgepackten Tüten voller Kuchenzutaten,
Sahne, Servietten und noch vielem mehr möglich war. Angekommen backte sie, was
das Zeug hielt. Als sie schon den ziemlich trockenen Teig in den Ofen geschoben
hatte, fiel ihr plötzlich auf, dass sie vergessen hatte, Milch zu kaufen. Mit
Entsetzen beobachtete Sophia, wie die Kuchen in sich zusammenfielen. Sie suchte
ein Rezept ohne Milch, denn mittlerweile war es zu spät geworden, als dass sie
noch hätte zum Supermarkt zurückkehren können. Zum Glück fand sie schnell eine
Anleitung für einen Nusskuchen mit nur ganz wenigen Zutaten. Diesen machte sie
gleich zweimal, verzierte den einen aber mit Schokoladenglasur, damit sich die
beiden wenigstens ein bisschen unterschieden. Letztendlich war Sophia sehr mit
sich zufrieden. Erschöpft legte sie sich ins Bett und war gleich eingeschlafen.
Als sie am nächsten Tag aufwachte,
stand sie gleich auf und machte sich an die auf sie wartende Arbeit. Ein Zettel
ihrer Eltern, die Sophia ihre kurze Abwesenheit erklärten, lag auf dem Schuhschrank.
Sie verwandelte den Tisch in eine lange Tafel und legte die beste Tischdecke,
die sie fand, darauf. Schon bald hatte sie ordentlich Geschirr und Besteck
gedeckt, nur noch Servietten fehlten. Nachdem sie die erste Packung verbraucht
hatte, wollte sie neue holen, doch die einzigen, die sie fand, hatten
Weihnachtsmotive. Sie hatte die Falschen gekauft! Eine Wahl hatte sie nicht,
besser diese, als gar keine. Leider bissen die Farben sich mit den anderen, und
man konnte ebenfalls nicht von Harmonie zur Tischdecke reden. Mittlerweile
kamen Sophia Zweifel und ihre Begeisterung war gebremst worden. Für viel Nachdenken
blieb ihr aber keine Zeit – die Gäste könnten jederzeit da sein. Und dann war
es so weit. Beinahe pausenlos klingelte es die nächsten drei Minuten. Schon
bald war das Haus durch heiteres Gerede und Gläserklirren erfüllt. Sophia wurde
es ganz warm um ihr Herz, als alle auf sie anstießen. Schließlich waren so
viele Leute teilweise weit gereist, nur um bei ihrer Konfirmation zu sein.
Trotzdem war die Stimmung nicht ganz ausgelassen, das merkte auch sie. Mehrmals
beäugten Gäste skeptisch die seltsame Farbkombination der Servietten, doch
niemand sprach es laut aus, bis Oma Waltraud fragte: „Sag mal Kindchen, hab ich
Alzheimer oder warum ist es heute Weihnachten?“ Die Tischgesellschaft lachte,
Sophia fand das aber nicht lustig. Es war das erste Mal, dass sie sich wirklich
Mühe gegeben hatte und da wollte sie nicht ausgelacht werden.
Wenigstens schienen die Kuchen zu
schmecken, sogar ihre Tante Sabine, die normalerweise sehr kleinlich war, was
Essen betraf, nahm ein Stück von dem Schoko-Nuss-Kuchen. Auf einmal fing diese
aber furchtbar an zu husten, so, als ob sie keine Luft mehr bekommen würde. Das
Mädchen, das vorher noch im Mittelpunkt gestanden hatte, war völlig erstarrt, unfähig, sich zu rühren.
Dafür handelten die anderen schneller. „Sieht mir nach einer allergischen
Reaktion aus“, urteilte Opa Hans besorgt. Bei diesen Worten zuckte Sophias
Vater zusammen und drehte sich langsam zu ihr um. „Was hast du in den Kuchen
hineingetan, Sophia?“, fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme. Die
Angesprochene senkte den Blick und murmelte kleinlaut:
„Eier, Nüsse ,-“, weiter kam
sie nicht. „NÜSSE?“, donnerte mein Vater los. Die arme Sabine wurde schon ganz
rot, weil niemand auf die Idee kam, ihr zu helfen. „Das bringt doch nichts“,
meinte seine Frau beschwichtigend. „Los, schnell, in der Tasche dort müsste ein
kleines Fläschchen sein, das die Allergie bekämpft!“ Die Personen, die der
Tasche am nächsten waren, spurteten los und brachten das gesuchte Medikament
der nach Atem ringenden Frau. Sophia aber bekam das alles gar nicht mehr mit,
denn sie war schon längst nach oben in ihr Zimmer gestürzt, wo sie ihren
angestauten Tränen freien Lauf lassen konnte. Ihre Enttäuschung war einfach zu
groß. Nachdem sich ihre Mutter versichert hatte, dass es ihrer Schwester gut
ging, folgte sie ihr. Die Frau fand das Mädchen zusammengekauert in seinem
Bett. „Sophia?“, fragte sie leise. Stille. „Was ist los?“ Sie ließ nicht
locker. Entschlossen ging die Mutter auf das Bett ihrer Tochter zu. Ein Schluchzer
ertönte daraus. „Heißt es das, erwachsen zu werden? Dass sich das Herz so
anfühlt, als wären Tonnen aus Blei darauf?“ Verständnisvoll blickte die Frau
direkt in die Augen der Jugendlichen, in denen Wasser glitzerte. „Manchmal
schon, meine Süße. Du trägst Verantwortung. Das ist der erste Schritt.“ Sophia
legte den Kopf schief. „Dann möchte ich das nicht. Es ist so viel einfacher,
Kind zu bleiben“, flüsterte sie anklagend. „Das kannst du aber nicht“,
erwiderte die Mutter plötzlich düster. Sie fing sich wieder. „Lass mich dir
eine Geschichte erzählen. Zwei Männer sind arbeitslos. Sie haben beide Familien
zu ernähren, tragen Verantwortung für sie. Weil sie keine Arbeit haben,
bekommen sie Geld vom Staat – Harz IV. Der Eine von beiden findet, dass das
Geld, was er bekommt, ausreicht. Deswegen bleibt er lieber zu Hause und will
gar keine Arbeit. Sein Geld ist zwar knapp, aber ausreichend. Der zweite Mann
geht ständig zu Bewerbungsgesprächen, aber es will einfach nicht klappen. Er
ist sehr traurig, da er seinen Kindern nicht alles bieten kann, was sie
wollen.“ „Dann bin ich erwachsen, wenn ich viel Geld habe“, schlussfolgerte
Sophia eifrig. „Nein, du hast es noch nicht ganz verstanden. Ich erzähle dir
eine zweite Geschichte. Also, ein Mann ist Banker. Er muss in seinem Beruf Geld
von Investoren verwalten. In einer bestimmten Zeitspanne muss er einen
bestimmten Gewinn machen. Das hängt von verschiedenen Dingen ab. Wenn er viel
aus diesem Geld macht, bekommt er auch einen größeren Teil. Einmal hat er
großes Glück gehabt und jetzt ist er reich. Findest du, dass er besonders viel
Verantwortung zu tragen hat, nur, weil er reich ist? Denke an den Mann, der so
stark versucht, eine Arbeit zu bekommen.“ Sophia sah nachdenklich aus. „Das
eine hängt nicht mit dem anderen zusammen, stimmt’s? Ich muss einfach mit den
Konsequenzen leben und das Beste daraus machen.“ Ihre Mutter sagte nichts, sie
war zu erfüllt mit warmem Stolz.
Seit diesem Gespräch ist viel
passiert. Heute ist Sophia – bin ich – mehrfache Großmutter, deren Blüte des Lebens
schon fast verwelkt ist. Tief in mir drinnen befindet sich noch eine wohl
behütete Knospe, die Knospe der Kindheit. Ich bin dankbar für das, was Mama mir
vermittelt hat.
Aber – wer würde nein sagen, wenn er die
Möglichkeit hat, das Leben nochmal aus der Sicht eines Kindes zu sehen?
Diese Geschichte habe ich dieses Jahr für einen Schreibwettbewerb zum Thema "Erwachsenwerden" verfasst.