Immer noch entsetzt starrt sie auf den leblosen
Körper, der vor ihr auf dem nackten Boden liegt. Entkräftet sinkt sie zu Boden
und ihr entfährt ein leises Wimmern, was sich zu einem Klagen erhebt. Nun
schreit sie fast. „Ich weiß, ich habe viele Fehler gemacht, aber warum müsst
ihr mir alles nehmen? Das habe ich
nicht verdient!“, versucht die junge Frau den Wind zu übertönen, der ihr um die
Ohren saust. Laut teilt sie ihr Leid um ihr letztverbliebenes Stück Liebe und
Geborgenheit. Man kann förmlich sehen, wie ihr Herz in noch kleinere Stücke
zerbricht, sodass kaum nur noch Splitter übrig sind. Eine Welle tiefer Erschöpfung übermannt sie
und sie kuschelt sich neben den toten Kater, voller verzweifelter Hoffnung,
noch ein letztes Lebenszeichen zu erhaschen.
Als sie die Augen wieder öffnet, bricht ein neuer Tag
an. Der Himmel ist blau und die Vögel zwitschern fröhlich. Doch diese helle
Welt gibt es nicht wirklich, das kann man auf den ersten Blick sehen, wenn man
das arme Mädchen in der tiefen Trauer und das jetzt vollkommen erkaltete
Fellbündel erfasst. Ihre Angst um die Zukunft sprießt aus ihren weit
aufgerissenen Augen. Die Wirklichkeit ist grausam. Nach ein paar Herzschlägen
weicht diese jedoch einer kalten Entschlossenheit. Vorsichtig schließt sie ihre
Hände um den Kater und hebt ihn in ihre Arme. Noch einmal hofft sie, dass sie
einen Protest ihres Freundes hört oder fühlt, aber es herrscht Stille. Ohne
irgendwelche Gefühle trägt sie den schlaffen Körper aus der Holzhütte in den
Wald. Mit bloßen Händen fängt sie an, ein großes Loch in die weiche Erde zu
graben. Sie merkt gar nicht, wie die Zeit Stück für Stück voranschreitet und als
sie mit dem Begräbnis fertig ist, steht die Sonne schon hoch über den Bergen.
Seltsamerweise hat sie keine Spuren dieser körperlich schweren Arbeit an sich,
nur ihre geröteten Augen könnten auf die Geschehnisse hindeuten.
Mit einem letzten Blick auf das Grab wendet sie sich
zur Stadt, ihre letzte Möglichkeit zu überleben. Schon bald kommen erste Häuser
zum Vorschein und innerhalb kurzer Zeit befindet sie sich inmitten zahlloser
Gebäude. Überall sind Leute. Bei den vielen, schnellen Bewegungen wird ihr ganz
schwindlig und sie rettet sich an eine Hauswand am Rande des Getümmels. Hinter
ihr knistert etwas und sie zuckt erschrocken zusammen, denn eine gut gekleidete
Frau mustert sie von oben bis unten. Langsam dreht sie sich zu dem Aushang
hinter ihr um, der dieses Geräusch verursacht hat. Bei dieser darauf stehenden
Anzeige spürt sie ein wenig Zuversicht in sich flattern:
DIENSTMÄDCHEN
GESUCHT!
Die Frau geht langsam auf sie zu. „Und? Was meinst
du?“ Und da spürt sie, dass die Götter ihr vergeben haben, denn ein neues Leben
beginnt.
~ Februar 2016 ~