Dienstag, 18. Juni 2013

Mein erster Frühling

Mein erster Frühling
Ein schwarzer Schwanz zuckte ungeduldig vor mir auf und ab. „Wo warst du die ganze Zeit?“, erkundigte sich meine Schwester Pia. Sie sah verletzt aus. Verlegen leckte ich meine Pfote und sah vorsichtig mit meinen grünen Augen in ihr schneeweißes Gesicht. „Ich… ich…na ja, ich war…ich glaub, ich…“, stotterte ich. Ich seufzte. „Ich habe einen Spaziergang gemacht“, miaute ich kleinlaut. „Du weißt, dass wir das nicht dürfen!“, empörte sich Pia. „Und außerdem“, sie machte eine Pause, „warum hast du mich nicht mitgenommen?“ Erwartungsvoll setzte sie sich hin. Ich schwieg einen Moment. Ich könnte ihr ja nicht sagen, dass ich mich vor ihrem Geplapper drücken wollte. „Also?“ Herausfordernd sah sie mich an. „Äh…also, du hast gerade geschlafen und…“, weiter kam ich nicht. „Bella, du weißt ganz genau du hättest mich wecken müssen!“ „Ja, ich weiß…aber ich muss dir unbedingt was erzählen!“, schnell fuhr ich fort, als Pia mich schon wieder unterbrechen wollte. „Du weißt doch, dass ich mich schon immer gefragt habe, was unterm Schnee ist“ „Ja…“
Ich stürmte nach draußen und nachdem, was ich hörte, folgte mir Pia mit lautem Pfotengetrappel. Als wir aus dem Haus stürmten, freute ich mich über die klare, kühle Luft, die mich umgab. Mit meinem Näschen hochgereckt stolzierte ich über das Gras und über den Schnee, in dem ich kleine Fußspuren hinterließ. Im hintersten Winkel des Gartens wartete die Überraschung auf Pia. Eine Blume, die eine so ähnliche Farbe wie der Himmel hatte, wuchs zwischen zwei noch kahlen Büschen. Meine Schwester war nun auch ganz aufgeregt und untersuchte neugierig die Pflanze mit der unbekannten Farbe. „Das müssen wir Mama erzählen!“, maunzte sie mit zittriger Stimme. Mit diesen Worten stürmte sie wieder rein, diesmal ich hinten. Flink guckten wir uns im Haus um, auf der Suche nach unserer Mutter. Die fanden wir dösend in ihrem Körbchen. „Mama, bist du wach?“, fragten wir wie aus einem Munde. „Jetzt schon!“ Belustigt schnurrte sie. „Was gibt es denn so Wichtiges, dass ihr mich wecken müsst?“ Wir antworteten ihr erst gar nicht, sondern liefen schon mal raus. Die Katzenmutter streckte sich noch einmal, bis sie etwas langsamer hinterher tapste. Als Mama endlich angekommen war, hopste ich schon vor mich hin. Kaum war sie da, miaute ich: „Was ist das?“, und sah auf die rätselhafte Pflanze. „Deswegen habt ihr mich geweckt? Das ist ein Veilchen!“ „Was ist das für eine komische Farbe?“, fragte ich gleich weiter. „Das nennt man Lila. Es sieht ein wenig nach blau aus, nicht wahr?“ Pia und ich nickten eifrig. „Nun, ihr werdet bald noch mehr neue Farben und Blumen kennenlernen.“ Ich fragte mich, wie es wohl aussehen würde, wenn so viele Farben zusammen wären. Bisher hatte ich meistens nur weiß, braun und grau gesehen. Aber ich musste mich nicht lange gedulden. Schon bald war der Garten in allen Farben, die man sich vorstellen konnte, gefüllt. Plötzlich erinnerte ich mich an einen Begriff, den Mama uns mal erzählt und erklärt hatte. „Ich glaube, es ist Frühling!“, sagte ich leise halb zu mir selbst, halb zu Pia
.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen